„Schau mal“, sagt er, am Fenster stehend. „Was für ein schöner Vogel da draußen!“ „Oh, wirklich? Zeig mal“, antwortet sie, steht vom Schreibtisch auf, geht leichtfüßig auf das Fenster zu und schmiegt sich an seinen Körper, während sie mit den Augen das gefiederte Juwel sucht.
Was fühlst Du bei dieser kleinen Geschichte? Ich werde am Ende auf sie zurückkommen.
Doch zunächst möchte ich Dich provozieren. Ich will, dass Du über Deine Verantwortung nachdenkst. Was glaubst Du, wofür Du in Deiner Beziehung verantwortlich bist?
Natürlich wirst Du mir zustimmen, wenn ich sage, dass Du verantwortlich bist für Deine Handlungen. Und ich denke – da Du ein bewusster Mensch bist – wirst Du bejahen, dass Du für Deine Nicht-Handlungen ebenso verantwortlich bist.
Aber bestätigst Du mir auch, dass Du dafür verantwortlich bist, was Du in Deiner Beziehung erlebst? Und wirst Du nicken, wenn ich sage, dass Du dafür verantwortlich bist, wie sich Dein Gegenüber verhält!?
Und – die Frage aller Fragen: Wie verantwortlich bist Du für die Gefühle und Bedürfnisse Deines Partners, Deiner Partnerin?
Nach den Prinzipien der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg zeichnen wir in keinster Weise verantwortlich für die Gefühle und Bedürfnisse des Anderen – nur so können wir letztlich vollständige Verantwortung über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse übernehmen. Aber ist es wirklich so einfach?
Ein Beispiel:
Sagen wir mal, Du bist an einem einsamen Abend traurig – und Du glaubst, Du bist deswegen traurig, weil Deine Liebste, Dein Liebster alleine ausgegangen ist. Doch zwei Wochen später geht Deine Liebste, Dein Liebster wieder alleine aus – und überraschenderweise bist Du glücklich: Endlich hast Du Zeit für Dich!
(Randnotiz: Bei Frauen kann dieses Gefühl übrigens sehr vom Zyklus abhängen).
Die Wahrheit ist: Du bist niemals aufgrund des Verhaltens eines anderen traurig, sondern aufgrund des Bedürfnisses, das Du hast. Im ersten Fall sehnst Du Dich vielleicht nach Gemeinschaft und Verbindung, im zweiten brauchst Du Rückzug.
Und inwieweit trägt die Person, die in diesem Beispiel abends alleine ausgeht, nun die Verantwortung darüber, ob sich der/die Daheimgebliebene wohlfühlt?
Bei dieser schwierigen Frage hilft mir eine bestimmte Definition von Verantwortung – nämlich als „die Fähigkeit, zu antworten“!
In diesem Beispiel würde das heißen: Wenn ich abends ausgehe und Du alleine zuhause bleibst, interessiert es mich natürlich, wie es Dir dabei geht: Ich bin fähig darauf zu antworten, wenn Du mir sagst, Du bist traurig. Und ich möchte gerne mit Dir gemeinsam herausfinden, was Dein Bedürfnis ist und wie Du es Dir anderweitig erfüllen kannst. Gleichzeitig bin ich bereit, Deinen Schmerz auszuhalten, wenn ich es Dir nicht erfüllen kann, denn das abendliche Ausgehen ist mir wichtig, um mein Bedürfnis zu stillen, damit ich mich wohlfühle. |
Wir sind zwar nicht direkt verantwortlich für die Gefühle des anderen, doch es lohnt sich, gemeinsam an der Erfüllung der dahinterliegenen Bedürfnisse zu arbeiten. Warum?
Denn die Fähigkeit der jeweiligen Partner, auf den anderen zu antworten, ist nichts Geringeres als das Geheimnis einer glücklichen, langfristigen Beziehung! Das legt das Ergebnis eines inzwischen klassisches Experiments aus der Sozialpsychologie nahe:
In seinem „Liebeslabor“ untersuchte John Gottmann frisch verheiratete Paare darauf, wie sie miteinander umgingen. Sechs Jahre später wiederholte er die Untersuchung – und konnte die Paare in „Masters“ und „Disasters“ einteilen. Paare aus der Gruppe der „Disasters“ hatten sich entweder getrennt oder waren unglücklich miteinander. Das machte Gottmann unter anderem physiologisch fest: Wenn sie miteinander sprachen, zeigten sie deutliche Anzeichen von Stress.
Doch warum waren die „Masters“ nach sechs Jahren immer noch so entspannt und liebevoll miteinander? Das fand Gottmann in einer weiteren Langzeitstudie heraus. Er konnte beobachten: Je mehr die frisch verheirateten Paare im ganz normalen Alltag auf die Impulse des jeweils anderen antworteten, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie sechs Jahre später (im verflixten siebten Jahr!) immer noch zusammen waren – und glücklich.
Ein Beispiel für die Fähigkeit, aufeinander zu antworten, war ebenjene Geschichte mit dem Vogel.
Herzlichst
Deine
Daria Eva Stanco
PS. Welchen Impuls brauchst Du gerade für Dein Beziehungsleben?
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